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Das Gestüt Ravensberg wird 100 Jahre alt/An frühere Erfolge angeknüpft

 
Das Foto zeigt die Anlage um 1925.

Vor 100 Jahren hat der Gütersloher Schnapsbrenner Paul Niemöller den Grundstein für das Gestüt Ravensberg in Spexard gelegt. Im Jahre 1907 fing der Reiter mit einer kleinen Mutterstutenherde im Ohlbrock an und tauchte erstmals im Allgemeinen Deutschen Gestütbuch auf. In einem Jahrhundert entwickelte sich daraus nicht zuletzt dank der enormen sportlichen Erfolge in der Zucht und im Sport eines der großen Vollblutgestüte Deutschlands. Heute gehört das Gestüt der dritten und vierten Generation und ist seit mehr als zehn Jahren eine Trainingsanlage. Die Zucht spielt nur eine geringere Rolle.

Trotzdem hat das geschichtsträchtige Anwesen (30 Hektar) mit dem Pächter und Trainer Andreas Wöhler nicht an Charme verloren und ist nach vielen Umbauten auf dem neuesten Stand der Trainingsmethoden. Zum Jubiläum wünscht sich Wöhler einen Ravensberger Sieg beim Deutschen Derby, dem wichtigsten Rennen des Turfs für dreijährige Galopper. „Das wäre der Knaller. Mit Waldvogel haben wir einen bärenstarken Kandidaten dabei“, verrät der in Dortmund geborene 45-Jährige, der seit November 2004 in Ostwestfalen arbeitet.
Waldvogel, ein Sohn der erfolgreichen Wurftaube, ist einer der drei Favoriten aus dem Wöhler-Stall für das Deutsche Derby. Er besitzt Stehvermögen und könnte in die Fußstapfen seiner ruhmreichen Ahnen Wilderer, Waidwerk und Windwurf treten. Neben Waldvogel werden Prinz (ein Bruder von Paolini) und Löwenherz auf die Derby-Vorprüfung vorbereitet. Das Arbeiten auf Ravensberg ist für den erfolgreichen Trainer (1.450 Siege) mehr als ein Beruf. „Auf so einem Gelände zu wirken, ist was Besonderes. Unsere Trainings-Grasbahn hat eine bessere Qualität als die meisten Galopprennbahnen in Deutschland“, sagt Wöhler, der sich mit 29 Mitarbeitern um die edlen Vollblüter kümmert.

 
Pferdeliebhaber: Brennereibesitzer Paul Niemöller gründete 1907 das Gestüt Ravensberg.

Unter Wöhler ist in den vergangenen Jahren kräftig in das Areal investiert worden. Die Grasbahn wurde verlängert, und weil die Reithalle zu klein war, wurde ein 250 Meter langer, überdachter Trainingsring gebaut. „Das war eine gute Investition. Der Rennstall hat sich qualitativ gesteigert. Wir sind von unten gewachsen und in der Breite stark“, berichtet Wöhler.

Die Geschichte des Gestüts begann bereits um 1900, als der Gütersloher Brennereibesitzer Paul Niemöller (Jahrgang 1869) im Ohlbrock 120 Morgen des mit hohen Kiefern bestandenen, moorigen Heidegeländes erwarb. Nach Rodung des Waldes und Kultivierung des Bodens legte er Dauerweiden an.
Die Gestütsgründung erfolgte 1907 durch den Bau von drei Ställen. Niemöller, der bereits im Alter von 26 Jahren Rennpferde besaß, hatte die Stute Humoreske als Zuchtstute erworben. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg stellten sich Erfolge bei Hindernisrennen ein.

Nach 1918 musste die Zucht in Ravensberg neu aufgebaut werden. Das Gelände war planiert und durch Aufschütten humosen Bodens verbessert worden. Der Oelbach wurde begradigt, seine Ufer abgeschrägt. Es entwickelte sich eine rege Bautätigkeit. 1921 wurde ein Wohnhaus errichtet, 1923 der Fohlenstall, wenig später ein 60 Meter langer Mutterstutenstall mit 25 Boxen. 1926 entstand der quadratische Hengststall mit 19 Boxen, die Sattelkammer und ein 250 Quadratmeter großer Innenraum mit Sandboden, auf dem die Pferde auch bei schlechtem Wetter bewegt werden konnten. Einen Sprung machte die Anlage 1934 mit der neuen Trainingsbahn. 2.000 Meter lang, mit einer Grasbahn von zwölf Metern und einer Sandbahn von drei Metern Breite umgibt sie die mit Holzbohlen eingefassten Weideflächen. 1954 wurde zusätzlich eine Reithalle gebaut, wodurch der Gebäudekomplex eine Hufeisenform erhalten hat.

 
Trainer: Andreas Wöhler ist seit 2005 Pächter und Trainer auf dem Gestütsgelände.

Paul Niemöller hatte mit dem Gestüt Ravensberg seinen Traum verwirklicht, Zucht- und Rennstall zu vereinigen und die Arbeit seiner Pferde selbst zu überwachen. Bis zuletzt war der morgendliche Ausritt und das Gespräch mit den Gestütsnachbarn wichtiger Bestandteil seines Lebens. Nach seinem Tode im Jahre 1946 fand er in seinem Enkel Reinhard Delius aus Bielefeld (damals 23 Jahre alt) einen passionierten Erben, der bis heute Eigentümer der stets bestens gepflegten Anlage ist. Neben den Eigentümern war Johannes Kuhr maßgeblich am Aufbau des Gestüts beteiligt. 1920 gekommen, arbeitete sich Kuhr bis zum Trainer und Gestütsleiter hoch. Nach seinem Tode 1968 trat Heinz Gummelt das Erbe an, der 1943 als erster Jockey-Lehrling auf dem Gestüt Ravensberg begann und bis 1994 Leiter und Trainer war.

Lebendig wird die Geschichte des Gestüts Ravensberg durch die Nennung der erfolgreichen Galopper. Alle in Ravensberg gezogenen Pferde werden nach alter Tradition mit Namen benannt, die aus der deutschen Jägersprache stammen. Nach guten Erfolgen vor dem Zweiten Weltkrieg in der Zucht und auf der Rennbahn und nachdem es gelungen war, unter schwierigen Verhältnissen den Bestand des Gestütes während des Krieges aufrecht zu erhalten, begann die Blütezeit in den 50er Jahren.

In den Statistiken wurden vordere Plätze belegt. Wesentlich dabei war, dass 1940 einige Stuten mit besonderen Zuchtqualitäten eingestellt worden waren. Unübertroffen als Mutterstute und Familiengründerin in Ravensberg ist die aus Privatbesitz erworbene Alchimist-Tochter Waldrun. Sie war selbst ein gutes Rennpferd, als Mutterstute aber eine der allerbesten, die je in der deutschen Zucht wirkten. Neckar (1954 vom Gestüt Erlenhof erworben), Kaiseradler und Windwurf sind die bedeutendsten Beschäler, die in Ravensberg wirkten. Kaiseradler, der 1969 Einzug in Ravensberg hielt, vermochte zwar die Rennklasse eines Neckars nicht zu erreichen, stand aber mehrmals an der Spitze erfolgreicher Vererber in Deutschland. Seine Nachkommen erzielten über 600 Siege in Flachrennen.

 
Ausritt: Jeden Morgen werden über 100 Pferde auf dem 30 Hektar großen Gelände bewegt. Hier trainieren die Pferde auf der drei Meter breiten Sandbahn.

Derby-Sieger für das Gestüt waren 1958 und 1965 die Neckar-Söhne Wilderer, der später nach Brasilien verkauft wurde, und Waidwerk.. Unerwähnt darf aber nicht der 1972 geborene Kaiseradler-Sohn Windwurf sein, der mit 1,3 Millionen Mark die höchste Gewinnsumme aller Ravensberger Pferde einbrachte. Von 1978 bis zu seinem Tod 2000 war der zweimalige Galopper des Jahres ein Garant für die Fortsetzung der erfolgreichen Zucht.
Für die letzten großen Erfolge des Gestüts Ravensberg sorgte die 1993 geborene Stute Wurftaube, die nach langer Durststrecke der Delius-Pferde 1997 das Deutsche St. Leger in Dortmund und weitere klassische Turf-Rennen in Deutschland gewann, und seit 1998 als Mutterstute eingestellt wurde. Reinhard Delius, der noch eine Mutterstutenherde und einen kleinen Rennstall betreibt, verpachtete im Dezember 1994 das Gestüt an die Trainingszentrum Ravensberg GmbH mit Trainer Peter Rau.Seit 2005 ist Andreas Wöhler der Pächter auf Ravensberg. „Es macht viel Spaß, hier zu arbeiten. Der Name Ravensberg hat Tradition“, sagt Wöhler.



Letzte Änderung: 2. August 2007