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Erstkommunion 1945 in Spexard

 
Theresia Feldick (links) und Ingrid Böcker feiern Ostermontag mit über 20 weiteren "Kommunionkindern" ihre diamantene Kommunion. Im Hintergrund ist die Fabrik Feuerborn zu sehen, in der sie vor 60 Jahren das Sakrament empfingen. (FOTO: BEINEKE)

Die Stunde Null schlug in Gütersloh am 2. April 1945. Am Ostermontag vor 60 Jahren wurde die Stadt an US-Truppen übergeben. Nicht nur deshalb werden Theresia Feldick und Ingrid Böcker diesen Tag nie vergessen. Denn ausgerechnet am 2. April 1945 – inmitten der Wirren der letzten Kriegstage – feierten sie in Spexard ihre Erstkommunion. Ein Ereignis, über das die beiden Frauen im ersten Teil der von der NW-Lokalredaktion Gütersloh initiierten Serie "60 Jahre Kriegsende – Leser erinnern sich" berichten.

"Es war eine wilde Zeit", sagt die 69-jährige Theresia Feldick, geb. Sagemüller, und berichtet über Fliegeralarme beim Kommunionunterricht sowie von den am Karsamstag heranrückenden US-Konvois, die dem damals neun Jahre alten Mädchens den Weg zur Beichte in der Pankratiuskirche vermasselten. Überaus bedrohlich war die Lage am Ostermontag. "Die Panzer standen in Reih und Glied, Kanonen waren auf Gütersloh gerichtet, weiße Tücher hingen in den Fenstern. Die Menschen waren in großer Sorge, dass es noch zu Kampfhandlungen kommt", erläutert Ingrid Böcker, geb. Harkötter.

Die Angst der Kommunionkinder habe sich aber in Grenzen gehalten. "In unserem Alter haben wir die Bedrohung gar nicht so bewusst wahrgenommen", ergänzt die Spexarderin, "ich war vielmehr total happy über mein schönes weißes Kleid und die neuen Schuhe."

 
Theresia Feldick-Sagemüller mit vier Vettern Anfang der 40er Jahre.

Dass die damals Achtjährige das besagte Kleid an diesem Tag überhaupt tragen konnte, hatte sie ihrem Schutzengel zu verdanken. Am 14. März 1945 wurde Ingrid Böcker-Harkötter im Garten ihres Elternhauses an der Verler Straße Opfer eines Bombenangriffes. In einem Erdbunker kauernd, wurde sie nach einem Treffer von der Druckwelle meterweit durch die Luft geschleudert. Anschließend musste sie sich aus der Erde freibuddeln. Doch Ingrid Böcker blieb wie durch ein Wunder unverletzt. "Ich hatte lediglich ein Loch im Strumpf", schmunzelt die heute 68-Jährige.

Und so konnte sie gemeinsam mit rund 25 weiteren Kommunionkindern am Ostermontag um 9 Uhr voller Stolz das Sakrament der Kommunion empfangen. Gefeiert wurde der Festgottesdienst dabei in einem Betriebsraum der Spexarder Spanplattenfabrik Feuerborn, die vom 1. Advent 1944 bis Ende März 1946 als "Notkirche" fungierte .

Die Zahl der Gottesdienstbesucher hielt sich am Ostermontag 1945 in Grenzen. Ausgangssperren und die gefährliche Lage hinderten viele Angehörige und Freunde an der Teilnahme an der Erstkommunionfeier. Der Großteil der Männer war zudem im Kampfeinsatz – oder bereits gefallen.

Und auch an der "Heimatfront" spielten sich gerade in den letzten Kriegstagen zahlreiche Dramen ab. "Die Mutter eines Mitschülers von mir hatte am Karsamstag ihr achtes Kind bekommen. Dabei gab es Komplikationen. Doch kein Arzt wollte sich der Gefahr aussetzen und nach Spexard fahren. Mutter und Kind kamen uns Leben", nennt Theresia Feldick ein besonders tragisches Beispiel.

 
Ingrid Böcker-Harkötter mit ihrem Vater Heinrich und den beiden kleineren Schwestern Marianne (rechts) und Brunhilde. Das Foto entstand am 31. März 1946, am Tag der Einweihung der Spexarder "Barackenkirche".

Sie selbst trauerte damals um ihren im Mai 1943 in England gefallenen Bruder – nicht wissend, dass auch ihr zweiter Bruder im Februar 1945 bei Kalkar im Kampf getötet worden war. Ähnliche Schicksale hatten viele Familien ereilt. Entsprechend getrübt war die Stimmung bei der Erstkommunionfeier in Spexard. Zudem waren die Angst und die Ungewissheit allgegenwärtig.

Doch glücklicherweise blieb Gütersloh am 2. April 1945 eine noch größere Katastrophe erspart. Um 17 Uhr wurde die Stadt eine Stunde vor Ablauf des Ultimatums an die Alliierten übergeben. "Am Nachmittag haben US-Soldaten unser Haus in Beschlag genommen. Wir durften aber in der Küche bleiben, wo wir mit Kuchen meine Erstkommunion feierten", berichtet Ingrid Böcker.

Zunächst habe sie Angst vor den fremden Soldaten gehabt. Doch nach den ersten Geschenken der Amerikaner – Kaugummis und Schokolade – war das Eis gebrochen. "Die US-Soldaten waren richtig nett zu uns", betont die 68-Jährige und führt an, dass es für die meisten Kinder ohnehin eher eine spannende Begegnung mit einer neuen Welt gewesen sei.

"Wir haben zum ersten Mal in unserem Leben Farbige gesehen", erklärt Theresia Feldick, "und ich erinnere mich noch ganz genau an eine amerikanische Soldatin, die ihre Fingernägel rot lackiert hatte. Diese roten Fingernägel werde ich nie vergessen – nie."

Vor Augen hat die Spexarderin zudem ihre ungewöhnliche Kommunionfeier: "Wir saßen im Keller und haben Kartoffelsalat gegessen, den meine Mutter zur Feier des Tages gemacht hatte. Mit dabei war eine aus Aachen geflohene Familie mit fünf Töchtern."

60 Jahre später wird es nun ein Wiedersehen der Spexarder "Kriegskommunionkinder" geben. Am Ostermontag, 28. März, wird die "diamantene Kommunion" um 10 Uhr mit einem Gottesdienst in der Bruder-Konrad-Kirche gefeiert. Anschließend werden im "Spexarder Krug" sicherlich jede Menge Erinnerungen an einen außergewöhnlichen Frühlingstag im Jahre 1945 ausgetauscht – und dann gibt es ganz bestimmt mehr als Kaugummis und Kartoffelsalat.
(Neue Westfälische vom 25. März 2005)



Letzte Änderung: 22. April 2005