![]() | „Sprachthaler“ als Gütersloher Besonderheit |
Die Gütersloher Region ist reich an Besonderheiten: Eine davon sind die sogenannten „Sprachthaler“, die in den damaligen Bauerschaften und Dörfern vor etwa 200 Jahren eine zentrale Form der offiziellen Kommunikation darstellten. „Behalt mich nicht das rath ich dich“ ist zum Beispiel auf der Vorderseite einer Replik des Spexarder Exemplars zu lesen, das Christian Janzen (54) als Schriftführer des dortigen Heimatvereins in der Hand hält. „Die Inschrift machte unmissverständlich klar: Die mit dem Sprachtaler verbundene Nachricht musste unverzüglich, meist innerhalb der nächsten Stunde, zur nächsten Hofstelle weitergeleitet werden“, berichtet Janzen, der das letzte bekannte Original dieser Spexarder Nachrichten-Plakette, auch Bauerntaler oder Burdaler genannt, im April 2021 gemeinsam mit Vereinskollege Markus Schumacher dem Stadt- und Kreisarchiv Gütersloh zur sicheren Aufbewahrung übergab.
„Während heutzutage E-Mails oder Messenger-Apps Nachrichten in Echtzeit übertragen, sah das im 18. und 19. Jahrhundert noch ganz anders aus“, berichtet der Gütersloher Heimatforscher Johannes Glaw: Selbst innerhalb eines Dorfes oder einer aus weit verstreut liegenden Hofstellen bestehenden Bauerschaft habe es eine ganze Weile gedauert, bis Nachrichten „die Runde“ gemacht hätten, so Glaw weiter. In der Gütersloher Region sei man auf die pfiffige Idee gekommen, die Übermittlung behördlicher oder anderer offizieller Nachrichten durch die Form einer Stafette zu verkürzen, erläutert der Stadtarchäologe. „Dazu wurde das aufgerollte Schriftstück mit einem Lederriemen umwunden, an dem auch die siegelartige Metallplakette, der Sprachtaler, befestigt war.“
Glaw weiter: „Heute sind noch acht Originale aus früheren Bauerschaften des Kreises Gütersloh wie beispielsweise Spexard, Pavenstädt, Sundern und Blankenhagen erhalten.“ Sie stammen seinen Angaben nach aus den Jahren 1783 bis 1848. Das Exemplar von 1810 aus der Bauerschaft Blankenhagen, die bis 1808 zur Herrschaft Rheda, nach der französischen Besatzungszeit 1814/15 zum Königreich Preußen gehörte, beinhalte eine eingearbeitete 1-Taler-Münze von 1805 mit dem Bildnis von Friedrich Wilhelm III., König von Preußen. Vorderseitig sei rund um das Münzbild des Herrschers eine Warnung eingeprägt: „Bringet mich gleich diese Stund weiter bis ich komme rund. Bey Vermeidung von 1 Thaler Strafe an die Comüne.“ Damit weise der Sprachtaler auf das Procedere der Nachrichten- Vermittlung hin: Der „Burdaler“ sei binnen einer Stunde auf den nächsten Hof weiterzureichen, erklärt Glaw. „Damit ergab sich ein zeitliches Fenster, in dem der Taler wieder am Ausgangspunkt, beim Burrichter, angelangt sein musste.“ Um diese Zeit zu verkürzen, seien parallel zwei Taler eingesetzt worden.
![]() | Acht Originale überdauern die Zeit |
Darauf weisen nach Angaben Glaws entsprechende Exponate mit einer eingestanzten Nummer zwei, wie etwa aus Spexard oder Selhorst (bei Wiedenbrück), hin. „Derjenige Bauer, bei dem beide Ausfertigungen schließlich zusammenkamen, hatte sie zum mitunter entfernt wohnenden Burrichter, dem Vorsitzenden der Bauernversammlung, zurückzubringen“, berichtet Glaw weiter. Falls der oder die Taler aber nicht innerhalb der veranschlagten Zeit zurück waren, habe sich der Burrichter selbst auf den Weg machen müssen, um den Übeltäter zu finden. „Fällig war dann, wie auf der Plakette vermerkt, eine Geldbuße von einem Taler.“ Zum Spexarder Exemplar schreibt Güterslohs Stadtarchivarin Julia Kuklik: „Das genaue Alter des Spexarder Sprachtalers ist nicht bekannt. Vermutlich stammt er aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, da Sprachtaler benachbarter Bauerschaften seit 1810 nachweisbar sind. Der Sprachtaler wurde aus Messingblech gefertigt und hat einen Durchmesser von 8,5 Zentimetern.“
Zur 900-Jahr-Feier sei 1988 eine kleine Menge an Replikationen gefertigt worden. Auf der Vorderseite trage er folgende Inschriften: „B SPEXARD SPRACHTHALER No. II“. Kuklik: „Offensichtlich hatte er schon einen Vorgänger oder es gab zwei wie in der Bauerschaft Selhorst bei Langenberg. In einigen Bauerschaften wurden tatsächlich zwei eingesetzt, um so die Zeit der Nachrichtenübermittlung zu verkürzen“, bestätigt Kuklik die Aussagen Glaws. In der Umrandung des Spexarder Talers steht „BEHALT MICH NICHT DAS RATH ICH DICH“. Auf der Rückseite lautete die Inschrift in der Umrandung: „WER MICH LAST STEHEN DEM WIRDS UBEL GEHEN“. Kuklik: „Mit diesen Inschriften wurde unter Strafanordnung auf die Verpflichtung zur Weitergabe hingewiesen. Bei dem in der Mitte der Rückseite abgebildeten, sechsspeichigen Wagenrad handelt es sich um das Speichenrad im Wappen des Fürstbistums Osnabrück und weist damit auf die alte Landeshoheit des Fürstbistums Osnabrück über das Amt Reckenberg hin, zu dem Spexard damals gehörte. (Text: Carsten Borgmeier/Die Glocke)