Das Gestüt Ravensberg in Spexard

Im Winkel des Brockwegs und des Oelbachs liegt im Brock das Gestüt Ravensberg in der heute wohl landschaftlich schönsten Gegend des Ortsteils Spexard. Das Gestüt zählt zu den bedeutendsten Vollblutgestüten in Deutschland und hat sowohl erfolgreiche Rennpferde, welche viele klassische Rennen gewinnen konnten, als auch sehr gutes Zuchtmaterial hervorgebracht.

 
Das Gestüt Ravensberg in den 1920er Jahren

Die Geschichte des Gestüts Ravensberg begann um 1900, als der Gütersloher Brennereibesitzer Paul Niemöller (Jahrgang 1869) im Ohlbrock große Flächen (120 Morgen) von seinerzeit mit hohen Kiefern bestandenen moorigem Heidegelände vom Bauernhof Spexard-Künnepeter erwarb. Nach Rodung des Waldes und Kultivierung des Bodens wurden mit viel Sachkenntnis gutbestandene Dauerweiden angelegt. Die Gestütsgründung erfolgte 1907 durch den Bau von drei Holzställen mit 20 Boxen. Der Name Paul Niemöller tauchte 1907 auch zum ersten Mal im Allgemeinen Deutschen Gestütsbuch auf. Der aktive Reiter, der bereits im Alter von 26 Jahren einige Rennpferde besaß, hatte 1906 die Stute Humoreske als Zuchtstute erworben. Damit war der Grundstein für das Gestüt Ravensberg gelegt, das zwar von seinem Bestand her (durchschnittlich 15 Mutterstuten) höchstens mittelgroß genannt werden kann, dank seiner enormen Erfolge in der Zucht und im Rennsport aber zu den großen Vollblutgestüten Deutschlands gehört. Bereits vor dem ersten 1. Weltkrieg stellten sich Erfolge auf der Rennbahn ein, wobei in erster Linie Hindernisrennen bestritten wurden. In Bielefeld-Quelle war bereits 1905 eine Rennbahn des Ravensberger Rennvereins entstanden. Wolf Delius, der Besitzer einer Seidenweberei, kümmerte sich intensiv um das Renngeschehen in Ostwestfalen. Weitere Rennbahnen entstanden um die Jahrhundertwende in Westfalen. In Dortmund-Wambel, Castrop, Recklinghausen und Gelsenkirchen-Horst wurden viele Internationale Rennen ausgetragen.

Nach 1918 musste die Zucht in Ravensberg neu aufgebaut werden. Das Gelände war inzwischen planiert und durch Aufschütten humosen Bodens verbessert worden. Der Oelbach wurde begradigt, seine Ufer abgeschrägt und begradigt. Es entwickelte sich eine rege Bautätigkeit. 1921 wurde ein Wohnhaus errichtet. 1923 der Fohlenstall, wenig später ein 60 Meter langer Mutterstutenstall mit 25 Boxen. 1926 entstand zusätzlich der quadratische Hengststall mit 19 Boxen, die Sattelkammer und ein 250 Quadratmeter große Innenraum mit Sandboden, auf dem die Pferde auch bei schlechtem Wetter bewegt werden konnten. Entworfen hatte diesen im Fachwerk und Klinker gehaltenen Bau ein Architekt namens Beckmann, dessen ausgiebige Studien englischer Rennställe seine Handschrift prägen. Beckmann baute übrigens ab 1928 das Gestüt Ebbesloh des rennbegeisterten Bielefelder Kaufmanns Dr. Richard Kaselowsky.
Eine weitere große Baumaßnahme folgte 1934 mit der Anlegung einer Trainingsbahn. Bei einer Länge von 2000 Metern und einer Grasbahn von 12 Metern sowie eine Sandbahn von drei Metern Breite, umgibt diese ideale Trainingsanlage die mit glatten Holzbohlen eingefassten Weideflächen. 1954 wurde eine große Reithalle gebaut, wodurch der Gebäudekomplex eine Hufeisenform erhalten hat.

 
Hengst Lavirco beim Sieg des Deutschen Derbys in Hamburg 1996

Der aktive Reiter Paul Niemöller hatte mit dem Gestüt Ravensberg den Traum verwirklicht, Zucht- und Rennstall zu vereinigen und die Arbeit seiner Pferde selbst zu überwachen. Bis zuletzt war der morgendliche Ausritt und das Gespräch mit den Gestütsnachbarn wichtiger Bestandteil seines Lebens. Nach seinem Tode im Jahre 1946 fand er in seinem noch jungen Enkel Reinhard Delius aus Bielefeld, einen passionierten Erben welcher bis heute Eigentümer der stets bestens gepflegten Gestütsanlage ist. Neben den Eigentümern war Johannes Kuhr aus Kattenstroth maßgeblich am Aufbau des Gestüts beteiligt. 1920 zum Gestüt gekommen, arbeitete sich Kuhr bis zum Trainer und Gestütsleiter hoch. Nach seinem Tode 1968 trat Heinz Gummelt das Erbe an, welcher 1943 als erster Jockey-Lehrling auf dem Gestüt Ravensberg begann und bis 1994 Gestütsleiter und Trainer war. Seit 1994 ist nun Peter Rau Trainer und Gestütsleiter. Reinhard Delius verpachtete das Anwesen an die Trainingszentrum Ravensberg GmbH, die in den vergangenen acht Jahren an die großen Erfolge der Ravensberger nahtlos anknüpfte. Die Anlage wurde modernisiert und umgebaut. Rund 120 Pferde von verschiedenen Besitzern aus ganz Deutschland werden in Ravensberg trainiert und auf die Rennen in ganz Deutschland vorbereitet.
Lebendig wird die Geschichte des Gestüts Ravensberg durch die Benennung der erfolgreichen Galopp-Rennpferde. Alle in Ravensberg gezogenen Pferde werden heute nach alter Tradition mit Namen benannt, die aus der deutschen Jägersprache stammen. Nach guten Erfolgen vor dem 2. Weltkrieg in der Zucht und auf der Rennbahn begann die Blütezeit in den 50er Jahren, nachdem unter den schwierigen Verhältnissen der Bestand des Gestüts während des Krieges aufrechterhalten wurde. In den Statistiken wurden vordere Plätze belegt. Wesentlich dabei war, dass 1940 einige Stuten mit besonderen Zuchtqualitäten eingestellt worden waren, wie Copia, Treibjagd und Waldrun. Treibjagd wurde Stammmutter der Klassehengste Tannenhäher, Tannenberg, Tannenhorst und Tajo. Unübertroffen als Mutterstute und Familiengründerin in Ravensberg ist die aus Privatbesitz erworbene Alchimist-Tochter Waldrun. Sie war selbst eine gutes Rennspferd, als Mutterstute aber eine der allerbesten, die je in der deutschen Zucht wirkten.

 
Der Hengst Lavirco während einer Besichtigung des Trainingszentrums Ravensberg durch den Heimatverein am 28.9.1996

Neckar (1954 vom Gestüt Erlenhof erworben), Kaiseradler und Windwurf sind die bedeutendsten Beschäler die in Ravensberg wirkten. Kaiseradler, der 1969 Einzug in Ravensberg hielt, vermochte zwar die Rennklasse eines Neckars nicht zu erreichen, stand aber mehrmals an der Spitze erfolgreicher Vererber in Deutschland. Seine Nachkommen erzielten über 600 Siege in Flachrennen.
Derby-Sieger für das Gestüt waren 1958 und 1965 die Neckar-Söhne Wilderer, der später nach Brasilien verkauft wurde, und Waidwerk. Ein weiterer Neckar-Sohn war Waidmann (Galopper der Jahres 1960) aus der Waldrun (1956), welcher nach erfolgreicher Rennbahnzeit als Deckhengst von 1964 bis 1976 im Gestüt eingestellt wurde und Vater von Tajo (1965) ist, der erstmals für die Farben „goldbraune-hellblaue, Schärpe und Kappe“ des Gestüt Ravensberg den „Preis von Europa“ im Jahre 1969 gewann. Es führt zu weit, alle erfolgreichen Pferd und ihre Rennsiege aufzuzählen. Unerwähnt darf aber nicht der 1972 geborene Kaiseradler-Sohn Windwurf sein, der mit 1.315,640 Mark die höchste Gewinnsumme aller Ravensberger Pferde zusammengaloppierte, und die großen Klassiker wie das Union Rennen, das Deutsche St. Leger, Gerling Preis und den Großen Preis von Baden gewann. Von 1978 bis zu seinem Tod 2000 war der zweimalige Galopper des Jahres als Beschäler ein Garant für die Fortsetzung der erfolgreichen Zucht. Diesem Spitzenhengst wurden alljährlich bis zu 45 Stuten zugeführt, wobei auch ausländische Gestüte sich die Qualitäten des wertvollen Vererbers zunutze machten.

 
Erfolgstrainer Peter Rau

Für die letzten großen Erfolge des Gestüts Ravensberg sorgte die 1993 geborene Stute Wurftaube, die nach langer Durststrecke der Delius-Pferde 1997 das Deutsche St. Leger in Dortmund gewann, und weitere klassische Turf-Rennen in Deutschland gewann, und seit 751998 als Mutterstute eingestellt wurde.

Reinhard Delius, der jetzt noch eine kleine Mutterstutenherde und einen kleinen Rennstall in Ravensberg betreibt, verpachtete im Dezember 1994 das Gestüt an die Trainingszentrum Ravensberg GmbH. Geschäftsführer ist Gregor Braun, der in der Lüneburger Heide das Gestüt Brümmerhof besitzt. Das „neue“ Ravensberg gehört aktuell zu den erfolgreichsten in Deutschland. Trainer Peter Rau, der bis 1994 das Herzebrocker Gestüt Quenhorn der Familie Fastenrath betreute, feierte viele feine Erfolge mit seinem Stalljockey Torsten Mundry. Höhepunkt war 1996 der Sieg im Deutschen Derby mit dem Hengst Lavirco. Fast alle klassischen Rennen konnte das Duo seither für sich entscheiden.



Letzte Änderung: 28. Februar 2021